Ließe sich die politische und mediale Rhetorik der Bundesrepublik des vergangenen Jahrzehntes auf eine Sehnsuchtsformel bringen, es wäre die des »gesellschaftlichen Zusammenhalts«. In der modernen Gesellschaft hatte der Bewegungsbegriff des Fortschritts das Versprechen ökonomischen Wohlstands, technologischer Entwicklung und politischer Emanzipation gebündelt. Die Rede vom »Zusammenhalt« evoziert dagegen eher Bewahren als Modernisieren, eher Nostalgie als Utopie, eher Immobilisierung als Bewegung. Damit steht sie auch einem lange vorherrschenden Globalisierungsdiskurs entgegen. Für ihn waren Verkettungen und Ungleichzeitigkeiten, war die Überschreitung von Grenzen und Zugehörigkeiten prägend. Es ist vor allem die bürgerliche Mitte, die als Folge einer wahrgenommenen gesellschaftlichen Desintegration an den Zusammenhalt appelliert. In antihegemonialen Diskursen und sozialen Bewegungen firmiert er selten als gesellschaftspolitisch erstrebenswerter Bezugspunkt. In diesem kritischen Vokabular wird die rasante Verbreitung des »Zusammenhalts« in verschiedenen Praxisfeldern nachgezeichnet und durchleuchtet. Durch marginale, konflikthafte und in alltäglichen Praktiken situierte Begriffe wird die hegemoniale Rede vom Zusammenhalt dabei vorzugsweise von den Rändern her erschlossen und dezentriert.
Christopher MöllmannChristopher Möllmann ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Konstanzer Zentrums für kulturwissenschaftliche Forschung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Wissensgeschichte, etwa der Geschichte der historischen Anthropologie. Jüngere Publikationen ...
mehrAnna PollmannAnna Pollmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz. 2008 bis 2016 tätig am Leibniz Institut für jüdische Geschichte und Kultur Simon Dubnow an der Universität Leipzig. 2018/19 Minerva Fellow an der Hebrew University of Jerusalem. ...
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