Der Mordfall Fritz Angerstein
Der Prozess gegen Fritz Angerstein, der in der hessischen Kleinstadt Haiger 1924 acht Menschen umgebracht hatte, gehört zu den aufsehenerregendsten seiner Zeit. Zahlreiche Prozessbeobachter wurden entsandt, um darüber zu berichten. Zu ihnen gehörte als Sonderberichterstatter der Frankfurter Zeitung auch Siegfried Kracauer, dessen Feuilletons ihn als einen der scharfsinnigsten Beobachter der Weimarer Republik ausweisen. Er widmete dem Sensationsprozess eine Serie von Artikeln, von denen einer den programmatischen Titel »Tat ohne Täter« trug. »Eine Tat ohne Täter«, so schrieb Kracauer, »das ist das Aufreizende, nicht zu Fassende im Fall Angerstein. Unausdenkbar die Tat: eine Orgie der Axthiebe und Stichverletzungen [...]. Wer aber ist der Täter, der zu ihr gehört? Angerstein? Der kleine, subalterne Mann mit den bescheidenen Manieren, der verzagten Stimme und der dumpfen Phantasie?« Die scheinbar motivlose Tat blieb ein Rätsel - und das nicht nur für den Angeklagten, der, wie er zu Protokoll gab, sich selbst ein Rätsel sei, sondern auch für die Gutachter und Sachverständigen, zu denen etwa der Psychoanalytiker Prof. Richard Herbertz gehörte. Er wurde zu Rate gezogen, weil die Unerklärlichkeit die eigentliche Provokation des Prozesses darstellte.