Literarische Texte verraten, wie die facettenreiche kulturelle Bedeutung von Schnee entsteht: Schnee beschäftigt die Phantasie der Menschen nicht als Naturstoff, sondern als Zeichen, Bild, Erzählung.
Wenn Menschen Schnee wahrnehmen, gleichen sie den Augenschein mit Bildern, Erinnerungen und kulturellen Codes ab, die in den virtuellen Archiven ihrer Köpfe gespeichert sind. Schnee ist ein kommunikatives Zeichen. Als Bedeutungsträger verleugnet er auch nach dem 19. Jahrhundert, in dem sich die meteorologische Sichtweise auf ihn durchzusetzen beginnt, seine Herkunft aus Religion, Aberglauben, Märchen, Sagen, Poesie und Naturphilosophie nicht. Literarische Texte sind unverzichtbare Akteure in der Geschichte des Schnee-Wissens. Sie loten Weltentwürfe aus, treiben Theorien voran, riskieren waghalsige Diskurs-Manöver – und sie erfinden Narrative, die bis in die Gegenwart unser Bild von Schnee prägen.
Am Beispiel intensiver Lektüren von Gedichten der Frühen Neuzeit, Klopstocks Oden, Wilhelm Müllers »Winterreise«, Mary Shelleys »Frankenstein«, Stifters Erzählungen, Andersens Schnee-Märchen, Thomas Manns Roman »Der Zauberberg« u. a. entwirft Cornelia Blasberg eine Geschichte der Schnee-Bedeutungen vom 17. bis 19. Jahrhundert. Denn in jenem Zeitraum entstehen die heute noch geläufigen Schnee-Topoi, die alle ästhetischen und ideologischen Turbulenzen der folgenden Jahrhunderte überdauern.
Cornelia BlasbergCornelia Blasberg arbeitete von 1983 bis 1986 am Deutschen Literaturarchiv Marbach, lehrte an den Universitäten Tübingen und Frankfurt a. M. und von 2003 bis 2021 als Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Münster.
Veröffentlichungen ...
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