Carlo Severi entwirft in seinem neuen Buch nichts Geringeres als eine Anthropologie des Denkens und der Wahrnehmung. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stehen Formen kollektiver Imagination, die unbelebten Artefakten - Spielzeugen, Ritualstatuetten, Grabdenkmälern oder Kunstwerken - Handlungsmacht zuweisen. Dinge werden zu lebendigen Wesen, die auf den Menschen wirken und sein Handeln bestimmen.
Die Moderne hat bekanntlich mit dem Primitivismus eine Ästhetik etabliert, die solche Objekte als Kunst betrachtet. Severi kehrt diese Blickrichtung um. Indem er jegliche Produktion von Bildern als soziale Tatsache betrachtet, die untrennbar mit der Ausübung des Denkens verbunden und damit universell ist, stellt er die etablierten Grenzen zwischen künstlerischem Diskurs und alltäglicher Praxis in Frage. Er entwickelt eine neue Theorie des Bilddenkens, die mit dem kulturellen Gedächtnis und dessen Wirklichkeitsmodellierung verbunden ist. Severis Grundannahme ist dabei so einleuchtend wie folgenreich: Das Zentrum einer Kultur bilden Strukturen der Wirklichkeitsdeutung, die an das Denken in Bildern geknüpft sind. Sie fundieren den Zusammenhang von Sehen und Glauben. Dieser Befund gilt auch für Gesellschaften, die sich als säkular begreifen. Die Anthropologie des Gedächtnisses, die Carlo Severi in seiner bahnbrechenden Studie Das Prinzip der Chimäre vorgelegt hat, wird mit diesem Buch zu einer allgemeinen Anthropologie des Denkens erweitert.
Carlo SeveriCarlo Severi ist Inhaber des Lehrstuhls für die »Anthropologie des Gedächtnisses« an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris und Forschungsleiter am Centre national de la recherche scientifique (CNRS). Bei Konstanz University ...
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