Ausgehend von den Schriften des spanischen Jesuitenpaters Baltasar Gracián (1601–1658) entwirft Johanna Schumm das Barock als geprägt von einer Geisteskunst, die wesentlich Beziehungskunst ist. Nicht nur die Schriften Sigmund Freuds und Walter Benjamins, sondern etwa auch die Soziologie des Bürolebens bei Niklas Luhmann und die Konzeptkunst Damien Hirsts stehen in dieser verschütteten Tradition barocken Denkens.
Das Zusammenspiel von Witz und Fülle entsteht historisch in dem Moment, als der das 15. und 16. Jahrhundert prägende Diskurs der Fülle (insbes. copia) auf den im 17. Jahrhundert zentralen Diskurs des Scharfsinns (insbes. acutezza agudeza) trifft. Witz und Fülle schreitet mit der Behandlung von Werken von Rabelais, Tesauro, Velázquez und anderen nicht nur einen weiten Horizont frühneuzeitlicher Literatur und Malerei ab, sondern belohnt auch mit einer Vielzahl überraschender Einsichten. Etwa wenn Graciáns Agudeza, Freuds Witz- und Benjamins Trauerspielbuch gemeinsam gelesen werden, Deleuze und Guattari sich als konzeptuelle Verbündete des jesuitischen Ästhetikers zu erkennen geben, oder dessen höfische Politik der Krise mit dem neoliberalen Arbeits- und Liebesmarkt ins Gespräch tritt. Diese Darstellung der Beziehungskunst rückt das Œuvre Graciáns ebenso wie die ganze hierdurch charakterisierte Epoche auf verblüffende Weise in ein neues Licht.
Johanna SchummJohanna Schumm ist Akademische Oberrätin am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der LMU München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Literatur und Theorie des Barock, die Geschichte der spanischsprachigen Lyrik, die Theorie ...
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