Der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 gilt als bis dahin schwerste Katastrophe in der zivilen Kernenergienutzung. Die Reaktionen darauf unterschieden sich international allerdings deutlich, besonders gegensätzlich fielen sie in der Bundesrepublik und in Frankreich aus. Die bundesdeutsche Öffentlichkeit stritt erbittert um Grenzwerte und stellte bald auch die Sicherheit der eigenen Kernkraftwerke infrage. In Frankreich hingegen blieb die öffentliche Erregung aus. Die französische Regierung erließ als einzige in Westeuropa nicht einmal Vorsorgemaßnahmen. Es schien, als habe die radioaktive »Wolke« genau an der Grenze haltgemacht. Katrin Jordan analysiert das Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft und Medien in beiden Ländern und zeigt, warum das Problem beiderseits des Rheins ganz unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet wurde. In der Bundesrepublik stellten kernenergiekritische Experten und Journalisten das offizielle Krisenmanagement bald infrage und übten so Druck auf die Politik aus. In Frankreich hingegen verhinderte das zentralistische und elitenbestimmte System eine offene Diskussion über die Risiken der Kernkraft. Der unterschiedliche Umgang mit dem Reaktorunfall verfestigte die Wahrnehmung einer grundsätzlichen Differenz beider Gesellschaften in Fragen der Energieversorgung und Klimapolitik, führte aber auch zu einer intensiven gegenseitigen Beobachtung des jeweiligen Nachbarn.
Katrin JordanKatrin Jordan, geb. 1983, hat Geschichte und Französisch sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in Berlin und Paris studiert.
Ihre Dissertationsschrift entstand an der HU Berlin und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
Ihre ...
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