In Zeiten zunehmender Globalisierung und Verwestlichung diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die geschichtlichen Wurzeln europäischer Zivilisation.
Seit dem 19. Jahrhundert beschreibt das Stichwort »Globalisierung« einen wesentlichen Entwicklungszug der Weltgeschichte. Durch die zunehmende Verbreitung elektronischer Kommunikationstechniken wurden die Beziehungen zwischen Staaten und Gesellschaften auf fast allen Ebenen des täglichen Lebens in einer zuvor unbekannten Intensität vertieft. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, erfolgt der Austausch von Waren, Informationen, Weltanschauungen und Kulturgütern in einer globalen Perspektive.
Diese Entwicklung wird von den westlichen Industrienationen dominiert. Allerdings zeichnet sich weltweit in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine »Verwestlichung« ab, so ist zugleich die Identität des »Westens« prekär geworden. Was unterscheidet die westliche Zivilisation von anderen Zivilisationen? Was ist - jenseits ihrer ökonomischen und technologischen Potenzen - der mögliche Beitrag der westlichen Zivilisation zu einer zunehmend vernetzten Weltgesellschaft?
In diesem Zusammenhang stellt sich unabweisbar die Frage nach der Identität Europas. Auf politischer Ebene trägt das Ringen um eine europäische Charta von Grundrechten dieser Aufgabe ebenso Rechnung wie jeder Versuch, das alltägliche Miteinander von ethnisch, religiös und kulturell andersartigen Gruppen in Europa selbst zu gestalten.
Nun resultiert »Identität« aus einem Sinnzusammenhang, den das menschliche Bewußtsein innerhalb eines Geschehenszusammenhangs herstellt. Ohne ein Wissen um das geschichtliche Woher kann die Frage nach der eigenen Identität deshalb nicht beantwortet werden. Dies gilt für Individuen ebenso wie für Nationen, Staaten und Völker.
Angesichts der fortschreitenden Globalisierung der Welt stellt sich deshalb die Frage nach der Identität Europas als eine Frage nach den geschichtlichen Wurzeln europäischer Zivilisation. Diese Frage diskutieren namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Sammelband. Dabei deuten sie an markanten Punkten die Richtung an, in die es weitergehen kann. Im historischen Rückblick verweisen Wegmarken auf Weichenstellungen in der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Geschichte Europas, die bis heute nachwirken und das Bewußtsein, die politische Praxis oder die gesellschaftlichen Realitäten bestimmen.
Inhalt:
- Dirk Ansorge: Europa im Werden. Der Beitrag der Iren zur karolingischen Reform
- Meike Wagener-Esser: Reform und Steigerung - Cluny im gesellschaftlichen Zusammenhang des 10. Jahrhunderts
- Wolfgang Hartung: Das 11. Jahrhundert als »Aufbruchsepoche«
- Stefan Rohrbacher: Zwischen Orient und Okzident. Blüte und Niedergang der iberisch-jüdischen Kultur
- Hanna Vollrath: Intellektuelle und Gottesfriede. Elemente der »Renaissance« des 12. Jahrhunderts
- Uwe Ludwig: Staufisches Erbe und »kleine Könige«. Das Reich des 13. Jahrhunderts zwischen universalem Anspruch und territorialer Wirklichkeit
- Burkhard Mojsisch: Der neue Begriff des Bewußtseins. Aristoteles-Rezeption und Aristoteles-Transformation im 13. Jahrhundert
- Thomas Schilp: Pestepidemien und Judenpogrome. Gesellschaftliche »Krisen« in der Mitte des 14. Jahrhunderts
- Dieter Geuenich: Das 15. Jahrhundert - »Herbst des Mittelalters« oder Beginn der Neuzeit?
- Christine Tauber: »Uomo universale« oder »Uomo virtuoso«? Zum Menschenbild der Renaissance
- Eckehart Stöve: Das Jahrhundert der Reformation - eine verpaßte Chance der Toleranz?
- Irmgard Hantsche: Die Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Krone im England des 17. Jahrhunderts - eine Vorstufe für die Entstehung der westlichen Demokratien
- Paul Münch: »Deutscher Fleiß« - Zur Konstituierung einer »bürgerlichen« und nationalen Tugend
- Lothar Bornscheuer: Die Aufklärung als Beginn der Moderne
- Eberhard Isenmann: Die alte europäische Ordnung und die Französische Revolution
- Dirk Blasius: Preußischer Staat und gesellschaftliche Moderne im 19. Jahrhundert
- Peter Alter: Der Triumph des Nationalstaates im 19. Jahrhundert
- Jost Dülffer: Der Durchbruch der Moderne in internationaler Politik, Wissenschaft und Kultur
- Norbert Frei: Der Nationalsozialismus in seiner Epoche
- Wilfried Loth: Europa seit dem Zweiten Weltkrieg - Spaltung und Einigung
Dirk AnsorgeDirk Ansorge, geb. 1960, studierte Theologie, Philosophie und Physik in Bochum, Jerusalem, Straßburg und Tübingen. 1993 promovierte er in Tübingen und ist seither Dozent für Religionsgeschichte, Kirchengeschichte und Systematische Theologie an der Katholischen ...
mehrDieter GeuenichDieter Geuenich, geb. 1943, studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Theologie in Bonn, 1972 folgte die Promotion in Münster/Westf., 1981 die Habilitation in Freiburg/Breisgau. Zwischen 1983-87 war er Professor für Geschichte des Mittelalters ...
mehrWilfried LothWilfried Loth, geboren 1948, studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Pädagogik in Saarbrücken und Paris. Er promovierte 1974, die Habilitation folgte 1983 in Saarbrücken. 1984-85 war er Professor für Politische WIssenschaft an der Freien Universität ...
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