Zur prekären Situation und der Neuentdeckung von Gegenständen und Schreibstilen jüdischer Philologen innerhalb und außerhalb der Universität, 1871-1933.
Die jüdischen Intellektuellen, die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik lebten, handelten in einer bestimmten kulturellen Situation, in der jüdische Traditionen deutschen gegenüberstanden. Sie entschieden sich auf unterschiedliche Weisen, oft auch gegen das Jüdische. Ihre Entscheidungen sind vielfältig, so daß es sich verbietet, von einer jüdischen Identität der Gelehrten zu sprechen, doch die Schwierigkeiten, denen sie sich gegenüber sahen, hatten eine Realität. Der Zugang zur Universität war den Juden erschwert, und innerhalb der Universität konnten sie nicht frei entscheiden. Man muß daher wissen, welche Alternativen innerhalb der Universität für Literatur- und Sprachwissenschaftler grundsätzlich bereit lagen und welche Akzente die jüdischen Forscher setzten. Die Akzente betrafen die Methode, den Kanon und den Schreibstil. Blieben die jüdischen Intellektuellen indes von der Universität überhaupt ausgeschlossen, mußten sie andere Wege zu ihren Gegenständen wählen: das Feuilleton, die Regie oder die Bibliothek.
Das Buch konzentriert sich auf den Zeitraum 1871-1933, als die Juden rechtlich prinzipiell Zugang zur Universität hatten. Der disziplinäre Rahmen wurde um die Klassische Philologie, die Orientalistik und die Germanistik erweitert, um Bewegungen innerhalb der Gegenstände (Sprache, Literatur, Kultur) nachzeichnen zu können, die den Kernbereich vieler jüdischer Selbstdeutungen ausmachen.
Inhalt:
Wilfried Barner und Christoph König: Einleitung
Außerhalb der Universität: Literaturkritik und Verlag
Notker Hammerstein: Universitäten in Kaiserreich und Weimarer Republik und der Antisemitismus
Almut Todorow: Deutsche Philologie und Judentum im Feuilleton der »Frankfurter Zeitung« während der Weimarer Republik
Dierk Rodewald: Moritz Heimann: Lektor, Autor, Deutscher, Preuße, Jude
Hanne Knickmann: »Ich weiß nicht, bin ich zum Dichter, zum öffentlichen Kritiker, oder zum Wissenschaftler bestimmt?« Der Literaturkritiker Kurt Pinthus (1886-1975)
Hiltrud Häntzschel: Professionell ohne Profession. Arbeitsfelder von Philologinnen jüdischer Herkunft
Universität, Forschung, Jüdische Hochschule
Céline Trautmann-Waller: Selbstorganisation jüdischer Gelehrsamkeit und die Universität seit der »Wissenschaft des Judentums«
Uri R. Kaufmann: Antijudaismus, Anerkennung, Integration. Responsion zu Céline Trautmann-Waller
Hans-Harald Müller: »Ich habe nie etwa anderes sein wollen als ein deutscher Philolog aus Scherers Schule.« Hinweise auf Richard Moritz Meyer
Lothar Schneider: Eugen Wolffs Dilemma.
Jeffrey L. Sammons: Zur ausgeklammerten Heine-Rezeption. Beobachtungen zur ersten großen Zeit der Heine-Philologie
Diskurse über das Judentum: Fremd- und Selbstbestimmung
Michael Brenner: Wie jüdisch war die jüdisch-intellektuelle Kultur der Weimarer Republik?
Carsten Schapkow: Fritz Mauthners Spinoza-Bild
Konrad Feilchenfeldt: Jonas Fränkel. Ein »jüdischer Philologe«und die säkulare Wissenschaft
Karol Sauerland: Im Namen einer deutsch-jüdischen Symbiose: Hermann Cohen
Methoden, Schreibweisen, Konstruktionen
Jean Bollack: Juden in der Klassischen Philologie vor 1933
Christoph König: Aufklärungskulturgeschichte. Bemerkungen zu Judentum, Philologie und Goethe bei Ludwig Geiger
Ulrike Haß-Zumkehr: Agathe Lasch (1879-1942?)
Erika Hültenschmidt: Henri Weil als Sprachwissenschaftler
Shulamit Volkov: Sprache als Ort der Auseinandersetzung mit Juden und Judentum in Deutschland, 1780-1933
Barbara Hahn: Fast eine vierte Unmöglichkeit. Responsion zu Shulamit Volkov
(Neue) Gegenstandsfelder
Johannes Renger: Altorientalistik und jüdische Gelehrte in Deutschland - Deutsche und österreichische Altorientalisten im Exil
Dirk Niefanger: Jüdische Intellektuelle und die Forschung zum Alten Orient vor 1933. Responsion zu Johannes Renger
Gerhard Lauer: Jüdischer Kulturprotestantismus. Jüdische Literatur und Literaturvereine im Kaiserreich
Hans Otto Horch: Deutsche Literatur - jüdische Literatur - Weltliteratur. Ludwig Strauß als Literaturwissenschaftler
Peter Goßens: Moderne Geister. Literarischer Kanon und jüdische Identität bei Georg Brandes
Hans Eichner: Josef Körner (1888-1950)
Jacques LeRider: Theodor und Heinrich Gomperz. Altphilologie, Judentum und Wiener Moderne
Link:
Arbeitsstelle für die Erforschung der Geschichte der Germanistik im
Deutschen Literaturarchiv MarbachWilfried BarnerWilfried Barner (1937-2014) war Professor für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Tübingen und Göttingen und Mitglied mehrerer Akademien. Er ist Hauptherausgeber der Werke und Briefe Lessings im Deutschen Klassiker Verlag.
Arbeitsschwerpunkte: ...
mehrChristoph KönigChristoph König, geb. 1956, Professor für deutsche Literatur an der Universität Osnabrück, 2008 /9 Fellow im Wissenschaftskolleg zu Berlin, 2011 /12 Fellow im Forscherkolleg »Fate, Freedom and Prognostication« der Universität Erlangen-Nürnberg, 2019 Professeur ...
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