Der promovierte Geograph Carl Rathjens zog als überzeugter Nationalist in den Ersten Weltkrieg – und kehrte als Nationalismuskritiker daraus zurück. So lehrten ihn zunächst die Kriegserfahrungen, später dann besonders seine Forschungsreisen in den Nahen Osten die Rolle Europas in der Welt infrage zu stellen: Im Jemen sah er, wie die europäischen Kolonialmächte um ihre Vorherrschaft und die Einheimischen um ihre Selbstbehauptung rangen. Da er dort die jüdischen Gemeinden intensiv kennenlernte, beobachtete er anfangs auch die europäischen Zionistinnen und Zionisten und die Bemühungen um ihre Auswanderung nach Palästina/Israel mit Skepsis. Spätestens jedoch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sah Rathjens den Zionismus mit anderen Augen: Er stand mit vielen deutschen Jüdinnen und Juden in freundschaftlichen, wissenschaftlichen und sogar geschäftlichen Beziehungen und erkannte, dass der deutsche Nationalismus untrennbar mit einem menschenfeindlichen Antisemitismus verbunden war. Als Systemkritiker wurde er 1933 aus seiner Stellung im Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv entlassen und lebte fortan in prekärer Situation. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lehrte Rathjens als Honorarprofessor für Geographie an der Universität Hamburg und blieb dem Nahen Osten als Reiseziel bis ins Alter treu.
Stefan BuchenStefan Buchen, geb. 1969, ist Journalist beim Norddeutschen Rundfunk und wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er studierte Arabische Sprache und Literatur an der Universität Tel Aviv und begann seine journalistische Laufbahn 1996 ...
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