Im Gegensatz zu den USA, vor allem aber auch zu den Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und des Nahen Ostens, spielt die Religion im öffentlichen Leben, in den Schulen, in der Wirtschaft sowie in der Politik in Europa seit gut einer Generation nur noch eine marginale Rolle. Für die meisten Europäer ist Religion inzwischen Privatsache, wobei für viele die Religion auch im privaten Leben keine nennenswerte Bedeutung mehr besitzt. Die Rituale der religiösen Praxis sowie die religiöse Orientierung gehören, so scheint es, bis auf wenige Ausnahmen der Vergangenheit an.
In diesem Band werden Aspekte dieses singulären Vorgangs erhellt. Der sprachliche Umgang mit den Begriffen »Säkularisierung«, »Säkularismus« und »Säkularisation« wird dabei ebenso untersucht wie die realen politischen und kulturellen Prozesse, auf welche diese Begriffe angewendet werden. Zu den Fragen des wissenschaftlichen Herangehens an diese Thematik gehört die Überlegung, wie im Zeitalter der Globalisierung im Sinne Max Webers eine vergleichende Religionsforschung wissenschaftlich begründet und durchgeführt werden kann. Durchaus offen ist die Frage, ob die Säkularisierung nur eine vorübergehende Phase in der Geschichte Europas darstellt: Wird die Säkularisierung Europas weiter voranschreiten und werden sich die Kulturen auf den anderen Kontinenten nach einer gewissen Zeit diesem Sonderweg anpassen? Oder wird sich Europa nach einiger Zeit wieder den religiös geprägten Kulturen in den anderen Kontinenten annähern? Dann wäre die Säkularisierung nicht etwa der Sonderweg Europas in Sachen Religion, sondern nur eine weltgeschichtliche Episode.
Hartmut LehmannHartmut Lehmann, geb. 1936, ist Historiker. Er war Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, DC, und bis 2004 Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen.
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