zur Personzum BuchGefährliche Grenzen –Seismographen des Wandels VIII: Abschottung, Abschreckung, Auslagerung
Mit ausgefeilten technischen Möglichkeiten von Drohnen bis Bewegungssensoren entstehen Systeme zur Abwehr von Ankommenden. Ob an der Grenze zwischen Mexiko und den USA oder an und auf dem Mittelmeer, welches zur gefährlichsten Übergangsregion der Welt mutierte. Viele Staaten erlassen Gesetze, um Geflüchteten den Zugang zu erschweren. Während es seit 2004 die üppig finanzierte EU-Grenzagentur Frontex gibt, ist die Seenotrettung auf private Spenden angewiesen und wird immer wieder kriminalisiert.
Es entstehen spannungsreiche, zuweilen paradoxe Situationen. Bei Abschiebungen werden Menschen vertrieben, aber der Anschein von Menschlichkeit soll gewahrt werden. Das überfordert viele damit betraute Beamte, die wissen, sie handeln zwar nach geltendem Recht, aber nicht gerecht. Deshalb erkranken etliche psychisch. Posttraumatische Belastungsstörungen sind keine Seltenheit. Darunter leiden auch viele Schutzsuchende, allerdings erhalten Beamte bessere Behandlungen.
Eine Achillesferse des Flüchtlingsregimes sind Abschiebungen. In Steffen Menschings neuem Roman «Hausers Ausflug» fand die Titelgestalt eine anscheinend gute Lösung: In einem unbemannten Fluggerät, medikamentös ruhiggestellt, werden die wieder Ausgestoßenen in Krisen- und Kriegsgebieten abgesetzt. Verständlich, dass Hauser bei dieser Dienstleistung wohlhabend geworden ist. Die Handlung setzt ein, als Hauser gegen seinen Willen in eins seiner Fluggeräte geraten ist. Wer aber sind der oder die Täter? Neider, Konkurrenten oder Aktivisten? Ohne Antwort wird er in einer unwirtlichen Gegend abgesetzt, die er nicht kennt.
Es ist eine Region, die oft als Erstaufnahme- und Transitstaat genutzt wird. Hier setzt der Migrationswissenschaftler Marcus Engler an: In einem Team leuchtet er eine Forschungslücke aus, denn noch sind langfristige Folgen der restriktiven europäischen Asylpolitik für die Bereitschaft von Erstaufnahme- und Transitstaaten unzureichend geklärt. Es stellen sich Frage: Wie werden Ankommende politisch instrumentalisiert? Welche Folgen hat es, wenn Autokraten der EU zunehmend – und teils mit guten Gründen – Menschenrechtsverletzungen vorwerfen?
Wir erkunden gefährliche Grenzen an den Rändern Europas, an denen sich die Systemfrage stellt. In «Hausers Ausflug» fragt die Titelfigur: «Wieso will man ein System verändern, das funktioniert?» Und er erhält die knappe Antwort: «Für Dich funktioniert es, für andere nicht.»
Steffen Mensching, Schriftsteller und Theaterintendant, Regisseur und Darsteller. Der diesjährige Träger des Berliner Literaturpreises liest aus «Hausers Ausflug» (Wallstein) und diskutiert.
Marcus Engler, Sozialwissenschaftler am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), stellt Aushandlungsprozesse im internationalen Flüchtlingsregime vor und diskutiert diese.
Martina Troxler, Filmemacherin und Mitglied der NGO Blindspots, zeigt ihren Film über Migranten (People on the Move) auf der alten Balkanroute und diskutiert.
Achim Engelberg liest über Abschiebungen aus «An den Rändern Europas» (DVA/ Penguin Random House), diskutiert und moderiert.